Von Reiselfingen nach Blumberg (DeTour.2021.4)

Wutachschlucht bei Boll - © Christoph Bücheler | MonacoTrail (alle Fotos)

Vierte Etappe auf dem Querweg, hinaus aus dem Schwarzwald. "It's mätschigg" gibt meine Begleiterin als Motto für heute aus. Der Tag soll regnerisch werden, ausgerechnet im schönsten Teil der Wutachschlucht. Es kommt dann ein wenig anders und doch nicht, wird alles in allem eine schlüpfrige Angelegenheit.

Es regnet Bindfäden, als wir Reiselfingen verlassen und in die Schlucht zurück steigen, auf einem anderen und schöneren Weg als gestern heraus. Er triftt auf eine Brücke über die Wutach an der Stelle, wo sich einst das Bad Boll befand. Das war ein für einige Jahre ein echter touristischer Hotspot und die ganze Erschließung der Schlucht richtete sich darauf aus. Ab ca. Mitte des 19. Jh. bis zum Ersten Weltkrieg kurten und fischten dort insbesondere geldige Engländer, dann begann der Niedergang und heute ist fast nichts mehr davon zu sehen, außer einer Kapelle. Und den beiden letzten lebenden Zeugen dieser "Goldenen Ära" der Wutachschlucht, zwei riesigen Thujen, die den Zugang zur Wutach säumen.

It's mätschigg!

Der Regen ist in der engen Schlucht kaum noch präsent, aber die kühle feuchte Luft zaubert eine magische Stimmung. Wir sind am Morgen fast alleine unterwegs, obwohl Samstag und dieser Abschnitt zwischen Schattenmühle und Wutachmühle flussabwärts der Standardspaziergang in der Schlucht ist, denn hier präsentiert sie sich am eindrucksvollsten. Hier frisst sich der Fluss durch die Muschelkalkbänke (die Geologie der Schlucht ist ein ganz eigenes Thema), was dann doch ganz beachtliche Felswände und -formationen schafft. Alle paar Meter wechselt die Szenerie zwischen Dschungel und Felsschlucht und es ist ein Genuss, hier zu wandeln. Immer wieder kommen uns auch die Bilder aus dem Jagsttal bei Kirchberg in den Sinn, auch dort ein in den Muschelkalk eingefressenes Tal. Wir stellen uns vor, wie erfüllt von Vogelgesang die Schlucht wohl im Frühjahr ist und wie farbintensiv koloriert im Herbst. Aktuell ist sie eher "mätschigg" nach dem reichlichen Regen der letzten Zeit. Matsch ohne Ende und ohne Entkommen. Aber auch im Umgang damit entwickelt man Routine. So wird es in jeder Hinsicht langweilig, als wir bei der Wutachmühle aus der Schlucht auftauchen, der freundliche Kiosk dort lenkt aber schnell von trüben Gedanken ab.

Bis Achdorf geht es dann im Tal der Wutach noch weiter abwärts, auf unterschiedlichen Wegen und nicht matschfrei. Der zerfurchte Boden in einer Rückegasse legt den Schluss nahe, dass mancherorts Waldbau mit Waldabbau verwechselt wird - ob da jemand sein Berufsbild nicht recht verstanden hat? Vor Achdorf intensiviert sich dann, wie angekündigt, der Regen, jetzt wird's ungemütlich. Einkehr im Gasthaus "Scheffellinde" wäre eine Option, altehrwürdige Institution. Hier hielt ein Dichterfürst des 19. Jh., Victor v. Scheffel, Hof, heute fast vergessen, und hier wurde von Aktiven des Schwarzwaldvereins der Querweg ausgeheckt. Doch es ist eine Hochzeit und wir sind auch schon gar zu verschlammt für ein solches Etablissement. Begleitet von den Klängen der Guggenmusik-Orchesterprobe machen wir uns schnell weiter auf den Weg nach Blumberg hinauf.

Geländesprung, Wanderdrehscheibe

Vor langer Zeit floss die Wutach einmal durch die Talsohle von Blumberg als "Ur-Donau" mit Quellgebiet am Feldberggletscher. Blumberg liegt heute knapp 200 m höher als Achdorf. Durch die "Ur-Wutach" wurde die Donau vom Gewässersystem des Rheins von Süden her angenagt und umgelenkt, in der Folge hat sich die Wutach durch größeres Gefälle tief in die Landschaft gegraben. (Es stecken noch tektonische Vorgänge dahinter, aber das führt zu weit.) Wir müssen jetzt jedenfalls im kräftigen Dauerregen diese 200 Höhenmeter überwinden, die meisten davon auf einem schmalen, steilen und extrem schlüpfrigen Weg im steilen Hangwald, teils eine fast halsbrecherische Angelegenheit. Gut, dass wir unsere Stöcke haben, das ist nicht allen Mitstreitern beschieden. Entsprechend lange Schleif- und Rutschspuren finden sich unterhalb des Pfades zuweilen im Hang, da gab es schon manchen Abgang. Und schlagartig verstehen wir die etwas missmutigen Gesichter entgegenkommender Weitwanderer, die sich anscheinend so gar nicht für die Naturschönheiten der Wutachschlucht begeistern konnten und die manchmal auch irgendwie ziemlich verdreckt daherkamen. Die hatten vermutlich die schlimmste Rutschpartie ihres Wandererdaseins hinter sich. Später berichtet jemand, in Achdorf habe es schon ein Hinweisschild gegeben, man solle doch unter solchen Umständen besser die Straße nehmen, war aber offenbar leicht zu übersehen. Jedenfalls, nach einigem Schimpfen und sehr konzentriertem Steigen lassen wir den schlammigen Wald hinter uns und erfreuen uns wie selten am ordentlich asphaltierten Feldweg durch die Felder hinein in den Ort.

 

Das Hotel ist bestens vorbereitet auf den Ansturm durchnässter Wanderer, das ist hier ein richtiger Treffpunkt. Fast kommt so etwas wie TMB-Feeling auf, abseits von der Tour um den Mont Blanc haben wir noch nie so viele Weitwanderer auf einem Fleck getroffen. Das liegt weniger am Querweg als am Schluchtensteig, der eine Tagesetappe entfernt beginnt und sehr beliebt ist. Vermutlich hat er gegenüber dem Querweg den Vorteil, dass man mehr auf naturnäheren Wegen unterwegs ist, eher abseits von Kulturlandschaft und Siedlungen. Womöglich mangelt es ihm aber an Abwechslung? Bedient er einen gewissen Eskapismus, raus aus der Zivilisation, rein in die wilde Natur? Möglich. Mich treibt inzwischen eher an, die Dinge zusammen zu sehen, die Säume und Verknüpfungen aufzuspüren, denn dort ist am meisten los und man richtet am wenigsten Schaden an. Im Hotel treffen wir auf Gleichgesinnte und es wird ein langer gesprächiger Abend...

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