DeTour.2019: Lichtenstein. Fußreise in Württemberg

Weinberg- und Streuobstlandschaft bei Breitenholz am Schönbuch
Weinberg- und Streuobstlandschaft bei Breitenholz am Schönbuch - © Christoph Bücheler | MonacoTrail

Eine Weitwanderung auf den Spuren von Wilhelm Hauffs romantischer Erzählung "Lichtenstein", vom Rand des Schwarzwalds durch Heckengäu, Schönbuch, Neckartal und Albvorland bei Tübingen, über die Schwäbische Alb zur Donau und hinein nach Oberschwaben, weitgehend auf dem Hauptweg Nr. 5 (HW5) des Schwäbischen Albvereins. Gewandert im Juni 2019 in 10 Tagen, 222 km, 5800 hm. Schnelle Übersicht in der Komoot-Collection.

Inhalt

Die Geschichte

Die Sage, womit sich die folgenden Blätter beschäftigen, gehört jenem Teil des südlichen Teutschlands an, welcher sich zwischen den Gebirgen der Alb und des Schwarzwaldes ausbreitet [...] die schöne, fruchtbare, weinreiche Landschaft, die vom Neckar durchströmt an seinem Fuße sich ausbreitet und Württemberg heißt.

So beginnt Hauffs Erzählung. In den ersten Tagen dieser Tour dienen uns die Ereignisse in Württemberg im Jahr 1519 als Hintergrundkulisse: das Haus Württemberg verlor (vorübergehend) sein Herzogtum in kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem Schwäbischen Bund und seinen Verbündeten, allen voran dem Herzog von Bayern. Wilhelm Hauff hat rund 300 Jahre später mit seinem romantisch-historischen Roman "Lichtenstein" (1826) dieses Geschehen literarisch aufgegriffen und es dank seiner Erzählung tief im Gedächtnis der Württemberger verankert. Mit seinem Roman hat er einen ganz wesentlichen Beitrag zur Ausbildung eines württembergischen Patriotismus im 19. und bis ins 20. Jh. hinein geleistet, bis dahin, dass das Schloss Lichtenstein, ein frühes Werk der Mittelalterromantik des 19. Jh., nach Motiven des Romans neu errichtet wurde - und bis heute eine Art Pilgerziel der Württemberger geblieben ist. Die Basis dafür hat Hauff mit literarischen Mitteln geschaffen und so heißt es zum Schluss: :

Es ist eine schöne Sitte, daß die Bewohner dieses Landes auch aus entfernteren Gegenden, um die Zeit des Pfingstfestes sich aufmachen, um Lichtenstein und die Höhle zu besuchen.

Hauff-Denkmal auf dem Lichtenstein - © Christoph Bücheler | MonacoTrail

Genau 500 Jahre ist das jetzt her und Hauff erzählt von einem lieblichen Garten Württemberg, in dem seine teils romantischen, teils kriegerischen Ereignisse spielen.
An Pfingsten 2019 haben wir uns aufgemacht, geleitet von Motiven aus dem Roman. Aber vor allem neugierig darauf, wie sich dieses Württemberg heute darstellt, denn der Weg verläuft in den ersten Tagen im Saum der hochindustrialisierten Boomregion um Stuttgart herum, in Tübingen sogar mitten in sie hinein. "Hie gut Württemberg allweg": die Formulierung aus dem Münsinger Vertrag von 1482, der die Teilung Württembergs beendete, dient bei Hauff als Losung und Kampfruf der Getreuen des Herzogs Ulrich, der um sein verlorenes Land kämpft. Hie gut Württemberg allweg - wie sich das für Weitwanderer im Frühsommer 2019 anfühlen wird?

Wohl nie so schwül hat ein Sommer über Württemberg gelegen, als der des Jahres 1519...

Der Rahmen

Wie sieht Hauffs Garten Württemberg heute aus? Kann man allen Ernstes noch eine Weitwanderung machen wollen, die tagelang durch den industriell-suburbanen Raum rund um Stuttgart führt? Wo selbst die Albhochfläche, dieses einst ärmliche, entlegene Hinterland, inzwischen, dank Stuttgart-21-Bahntrassenausbau, Autobahnbau und in die Gegend gesch(m)issenen Logistikzentren, vielerorts eher an eine Stadtrandgegend erinnert? Wir wollen es versuchen und starten, wie es sich nach Hauff gehört, an Pfingsten in Stuttgart. In den ersten sechs Tagen begleitet uns noch Wilhelm Hauff, um uns in romantisch-sentimentale Stimmung zu versetzen.

Etliche Orte des Geschehens der Romanhandlung liegen am Weg (der Reihe nach):

  • Das alte Schloss in Stuttgart, schon bei Hauff beschrieben als der Nachfolgerbau des ursprünglichen Herzogsschlosses, in dem sein Held rauschende Hochzeit feiert.
  • Das Flüsschen Würm bei Weil der Stadt, wo Landsknechte lagern, die der Herzog für seinen Feldzug gegen den Schwäbischen Bund anwirbt.
  • Tübingen, die alte Universitätsstadt, wichtigste herzogliche Festung, Studienort des Romanhelden Georg von Sturmfeder und von Wilhelm Hauff.
  • Die freie Reichsstadt Reutlingen mit ihren Vororten, deren handstreichartige Einnahme durch Herzog Ulrich im Januar 1519 Auslöser der nachfolgenden kriegerischen Ereignisse ist, die zur Vertreibung des Herzogs führen.
  • Das Städtchen Pfullingen am Fuß der Alb, wo Ritter Georg im Wirtshaus erfährt, dass seine Geliebte Marie auf dem heimischen Schloss Lichtenstein nächtens einen heimlichen Gast empfängt, was Georg noch in der Nacht zum Lichtenstein, hoch und exponiert über dem Echaz-Tal gelegen, aufbrechen lässt.
  • Das Schloss Lichtenstein, Heimat seiner Geliebten und späteren Gemahlin, Nukleus im Beziehungsgeflecht der Romanfiguren.
  • Die Nebelhöhle, im Roman Versteck des vertriebenen Herzogs und eine der ältesten Schauhöhlen der Schwäbischen Alb.
  • Die Höhen am Albtrauf, die Ritter Georg auf seinem Weg von Ulm über die Alb nach Lichtenstein erreicht. Den weiten Ausblick von dort auf den "Garten Württemberg" formuliert Hauff in hinreißenden Landschaftsbeschreibungen.

Die Route

All diese Ort streifen und besuchen wir, bevor unsere Route weg vom Albtrauf führt, auf die Albhochfläche und das Tal der Großen Lauter hinunter, der Donau zu und hinein nach Oberschwaben. Wir halten uns dabei nicht immer stur an den HW5, sondern passen die Route lokalen Gegebenheiten oder unserer Etappeneinteilung an. Ab der Donau wechseln wir dann auch weitgehend auf den HW7, weil der besser in unsere Routenplanung passt. Die erste Etappe ist ein "Prolog", erst mit der zweiten Etappe in Weil der Stadt haben wir die eigentliche Tour auf dem HW5 begonnen.  

  1. von Stuttgart nach Ditzingen - vom Hauptbahnhof durch die Innenstadt, vorbei am Grab von Wilhelm Hauff, durch die nördlichen Stadtwälder und Stadtrandsiedlungen ins Strohgäu.
  2. von Weil der Stadt nach Ehningen - an der Würm entlang durchs Heckengäu.
  3. von Ehningen nach Breitenholz - auf weichen Waldwegen durch den Schönbuch zu den wunderbaren Weinbergen von Breitenholz, einschließlich Aussicht vom Schönbuchturm bei Herrenberg.
  4. von Breitenholz nach Tübingen - über Hohenentringen durch den Schönbuch zum Kloster Bebenhausen und über den Berg ins Neckartal.
  5. von Tübingen nach Pfullingen - auf abwechslungsreichen Wegen und über zwei Aussichtsberge durchs Albvorland.
  6. von Pfullingen nach Honau - Albwanderung par excellence mit Stationen am Schönbergturm (Onderhos), Nebelhöhle und Schloss Lichtenstein.
  7. von Honau nach Gomadingen - Exkurs auf den HW1 (Albsteig) am Albtrauf entlang, dann über die Albhochfläche zur Lauterquelle und zum Sternberg (Aussichtsturm).
  8. von Gomadingen nach Anhausen - Burgenromantik im Lautertal und ein Besuch auf dem Württembergischen Haupt- und Landgestüt in Marbach.
  9. von Anhausen nach Zwiefaltendorf - durchs autofreie untere Lautertal und in die Donauauen zwischen dem Barockkloster Obermarchtal und Riedlingen.
  10. von Zwiefaltendorf nach Bad Buchau - Überschreitung des Bussen und durch die Weite von Oberschwaben zu den Mooren am Federsee.

 

Reflektion

Als Resümee können wir festhalten: Wir wollten mitten durch Württemberg wandern, nicht nur in entlegenen Naturlandschaften, sondern auch dort, wo „die Musik spielt“, zumindest entlang der Ränder der Stuttgarter Agglomeration. Wir waren überrascht, wie gut das, selbst am Stadtrand, geht und dass besonders schöne Wegeabschnitte dort waren, wo wir sie nicht unbedingt erwartet hätten (und umgekehrt). Das hat Spaß gemacht und war sehr erfüllend. Auch wegen der einen oder anderen Begegnung am Wegesrand, die uns ein wenig tiefer eintauchen ließ. So haben wir erfahren, dass ein Gasthaus, das ein kleines Stück ab von der Durchgangsstraße liegt, es nicht mehr leicht hat. Dass es früher auf der Alb Angebote für Weitwandern mit Gepäcktransport gab und dass das eingeschlafen ist. Wir haben, in den Schulferien, sehr wenige Leute untertags in der Landschaft angetroffen und selbst an bekannteren Sehenswürdigkeiten war der Andrang übersichtlich.

Der ältere Wengerter (Winzer), der im Entringer Weinberg allein vor sich hinarbeitete und seine Reben aufband, hat sich eine Weile Zeit für uns genommen und wir haben beim Frühschoppen geplaudert, unter der im Wind flatternden Württemberger Fahne. Wie es mit seinem Weinberg einmal weitergehen wird, weiß er nicht. So hat diese Tour für uns eine spezielle Exotik entwickelt, wie eine Art Pfadfinderreise ins eigene Innere...

Mit dem Konzept eines „Hauptwegs“ verbindet man vielleicht etwas andere Erwartungen, jedenfalls nicht die, dass er auf einmal fast spurlos in der Wiese verschwindet oder nur kilometerlang auf Landstraßen verläuft (aber welche GTA, welcher Jakobsweg tut das nicht?). Andererseits: bei offenbar so geringer Nachfrage gibt es auch keinen Handlungsdruck. Insofern ist ein Hauptweg hauptsächlich eine sehr hilfreiche Orientierungslinie, hier und da kann man die Route aber getrost mit etwas eigener Feinarbeit noch aufwerten. Dennoch zur Nachwanderung unbedingt empfohlen!

Ähnliche Beiträge: