Historische Walserrouten zwischen Wallis und Val Formazza, zwei interessante Passübergänge im nördlichsten Piemont: Scatta Minoia und Albrunpass, ehemals eine wichtige Handelsroute. Heute weit entfernt von jeglichem Verkehr. Weites Bergland zwischen Alpe Devero und Naturpark Binntal mit seinen freundlichen Dörfern.

Waren die ersten beiden Etappen mäßig spannend, so hält dieser Tag doch deutlich mehr Eindrücke bereit, verlangt dafür aber mehr Ausdauer. Im ersten Teilstück bis zur Alpe Forno Inferiore teilen wir uns die Route noch mit den GTA-Wanderern, dann zweigen wir ab, verlassen wieder Piemont und wandern über den Albrunpass weiter ins Wallis. Die ganze Route hat literarischen Niederschlag gefunden in einem Bericht der schweizerischen Schriftstellerin S. Corinna Bille, die im August 1954 auf dem Weg vom Rhonetal ins Tessin hier unterwegs war.

Es fällt uns nicht schwer, früh aufzubrechen, auch wenn das Wetter nicht ganz einladend ist. Am Westufer des Lago di Vannino quert der Pfad in angenehmer Steigung den Hang und führt zum schön gelegenen, teils sumpfigen Almboden der Alpe Curzalma unter einem Gletscherausläufer des Ofenhorns. Erst kurz vor dem Scatta Minoia Pass (2.599 m) wird es merklich steiler und etwas mühsam im blockigen Gelände, dafür entschädigen die Rückblicke zum Vannino-See und seiner Bergumrahmung, die S.C. Bille an Tibet erinnert hatte. Der Pass mit Schutzhütte liegt in einer markanten Felsenerosionsumgebung.

Nachdem wir unseren dritten Pass der Tour überquert haben, steigen wir ab ins sehr weitläufige Gelände der Alpe Forno, wo der berühmte Bettelmatt-Käse hergestellt wird. Am Weg gelegen und nicht zu übersehen ist ein ein wunderbarer Wollgrassumpf, den Bille bereits erwähnt als "sumpfigen Teiche [...] umsäumt von Blumen mit seidenweichen weißen Büscheln, dem Wollgrasflöckchen“ Auf der Alpe Forno Inferiore hat S. C. Bille einst eine kalte, weitgehend schlaflose Nacht verbracht: "Man weist uns einen mit Wildheu ausgelegten Winkel zu. Die Hirten bieten mir eine Decke an, die ich eigensinnig, aber auch aus Zurückhaltung ablehne. Das werde ich bereuen. [...] Die Hirten steigen dann einer nach dem anderen die Leiter empor, um sich hinzulegen, aber zwei oder drei schlafen nicht. Sie sitzen mit dem Rücken gegen die Wand und singen leise weiter, endlos. Gern höre ich ihnen zu, aber das Feuer unten ist ausgegangen, ich hatte geglaubt, es würde die ganze Nacht brennen. Und nun dringt die Kälte in die Hütte ein, erst erträglich, dann wird sie immer schlimmer. Ich spüre, wie die Wand neben mir eisig wird, und fühle den Luftzug um meinen Kopf und meine Hände. [...] Flehentlich rufe ich die Morgendämmerung herbei. Sie kommt zu mir in der Gestalt von Sternen: die kleinen Löcher in den Wänden werden hell. Sie sind überall, und nun verstehe ich, warum es so kalt geworden ist! Heute ist die Alpe neu saniert und in bestem Zustand, wohl dank der guten Nachfrage nach dem Bettelmattkäse.

Weite Ausblicke zu den Bergen und Seen der Alpe Devero begleiten den Aufstieg zum Albrunpass (2.407 m). durch die Hänge oberhalb der Alpe. Kurz vor der Passhöhe trifft man auf den historisch bedeutsamen, mit Steinplatten belegten Saumweg, der in wunderbarem Schrittrhythmus und Steigung zur Passhöhe führt. Man vermutet, dass er schon in römischer Zeit begangen wurde, besonders wichtig war er jedoch im Mittelalter und für die Walser als Zugang zu ihren oberitalienischen Siedlungsgebieten. Dann schwand seine Bedeutung immer mehr zugunsten des verkehrsgünstiger gelegenen Simplonpasses, nur gelegentlich wurde er noch als Ausweichroute genutzt. Heute ist er lediglich noch eine Wanderroute. Durch ein Felsentor hindurch wechseln wir wieder in die Schweiz und ins Wallis und haben Pass Nr. 4 überschritten.

Ein langer Abstieg nach Binn ist noch zu absolvieren, da ist ein Zwischenhalt in der Binntalhütte (SAC) unweit der Passhöhe willkommen. Weiden und Waldstücke wechseln sich ab, bis man beim kleinen Dorf Fäld, das zu den besterhaltenen historischen Siedlungen der Schweiz gehört, die Binna quert. Eine knappe Stunde später ist auch der Hauptort Binn erreicht, besser gesagt der zentrale Ortsteil Schmidighischere, wo nach langer Tour eine Erfrischung am Dorfplatz ein Muss ist.

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Übernachtung: Hotel Ofenhorn oder Pension Albrun

Literatur: Bille, S. Corinna. Von der Rhone an die Maggia - Erzählung einer Wanderung, Zürich: Rotpunktverlag, 2011.